Sonntag, 09.10.11

 

"Gott muss ä Pälzer sein"

So haben es heute viele Leute formuliert, die beim Winzer-Festumzug in Neustadt/Weinstraße dabei waren. Die Sonne lachte und die leichtbekleideten Weinhoheiten in ihren offenen Kutschen oder Cabriolets konnten die Huldigungen ihres Fußvolkes entgegen nehmen. Wie hier die Diedesfelder Weinprinzessin Carolin I.

Auch wir mischten uns zwischen die Untertanen und staunten nicht schlecht, denn hier hat jedes Winzerdorf seine eigene Weinprinzessin. So viele gekrönte Häupter an einem Tag hatten wir noch nie gesehen. Die Pfälzische Weinkönigin wurde erst vorgestern inthronisiert und hat in ihrem Hofstaat vier Prinzessinnen, mit denen sie gemeinsam auf dem blumengeschmückten Prunkwagen am Festumzug teilnimmt. Aber auch der Tabakanbau floriert in der Pfalz und so ist es kein Wunder, daß ebenfalls eine Tabakkönigin huldvoll winkt.

In Zeiten der Emanzipation gibt es aber auch männliche Oberhäupter. Das Weindorf Gimmeldingen zum Beispiel hat keine Prinzessin mitgebracht, sondern den Weingott Bacchus, der es sich sichtlich gut gehen läßt. Sein Kollege, der Kürbiskönig aus der Südpfalz, hat echte Kürbisse von 300 Kilo Gewicht dabei. Sagenhaft!

Die Zuschauer am Rande des Festumzugs müssen nicht nur Bacchus und den Hoheiten ins Weinglas schauen, sondern bekommen auch kräftig ausgeschenkt. Wer ein Glas in der Hand hält, kommt kaum nach beim Austrinken, denn neben allen Wagen laufen spendierfreudige Teilnehmer, die kräftig ihren Wein ausschenken - aus Flaschen, aus Krügen und zur Not sogar aus „Ölkännchen" wie bei dem Festwagen mit dem Motto "Biodiesel, E10 oder Hybrid? Schorle bleibt unser Sprit".

Der gesamte Umzug ist nicht nur eine Präsentation der Weinprinzessinnen, sondern auch ein gigantisches Erntedankfest. Mit selbstgeflochtenen Erntekränzen und einem aufwendig gestalteten Festwagen des Pfälzerwald-Vereins, der aus heimischen Farnen eine Szene aus den Germanischen Göttersagen nachgestellt hat, werden die Zuschauer unterhalten.

Nicht nur die Zuschauer bekommen Wein in Hülle und Fülle ausgeschenkt, sondern auch die Elwetridsche sollen mit Wein angelockt werden. Mit der Fabelwelt der Elwetridsche haben wir uns ja bei unserem letzten Besuch im Dahner Felsenland schon befaßt. So freuen wir uns natürlich, ein Exemplar dieser ganz besonderen Wesen im Umzug anzutreffen.

Und wen treffen wir noch an? Die Welt ist klein, wir sagen es ja immer wieder. Plötzlich marschiert vor unseren Augen die Trachtengruppe aus Sankt Martin auf. Angeführt von unseren „Vermietern": Herr und Frau Schreieck, das Winzerpaar, auf dessen Weingut wir gerade wohnen! So ein Zufall. Und ein glücklicher noch dazu, denn mit in der Gruppe läuft ihr Sohn, der uns ein Glas schenkt und es auch gleich mit Wein füllt. Wir Ahnungslosen hatten natürlich nicht gewußt, daß man sich beim Winzerumzug mit einem Gläschen ausstatten sollte, so wie die Karnevals-Erprobten im Rheinland einen Beutel für Kamelle mitnehmen.

Ganz am Ende dieses größten deutschen Winzerfestumzugs rollte sie dann endlich heran, die neu gewählte 63. Deutsche Weinkönigin. Annika I. lächelte von ihrem Prunkwagen und da es nach der Deutschen Weinkönigin keine Steigerung mehr geben konnte, war damit der Umzug auch vorüber.

Die zehn Kilometer Fahrradstrecke bergauf zurück nach Sankt Martin nahmen wir dann als Alkoholverdunstungs-Sport. Nach so viel Wein am Straßenrand mußten wir erst einmal einen klaren Kopf bekommen. Oder lag es an den vielen goldenen Krönchen, daß wir uns fühlten als hätten wir einen in der Krone?


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