Sonntag, 17. Juni  2018
Wir sind gerade in Irkutsk

Irkutsk, das Paris Sibiriens

Jede Stadtbesichtigung beginnt mit dem Besuch einer oder mehrerer Kirchen. Wir haben uns schon gefragt, was wir wohl als Fremdenführer in unseren Heimatorten den Touristen zeigen würden? Wobei man zugeben muß, daß die Gotteshäuser das Stadtbild natürlich sehr prägen, wie zum Beispiel die farbenfrohe Epiphany-Kathedrale, deren Stil als Sibirischer Barock bezeichnet wird.

Die Erlöserkirche aus 1706 ist das älteste Steingebäude von Irkutsk sowie von ganz Ostsibirien. Hier genau an dieser Stelle wurde die Stadt von einem Kosaken gegründet. Und hier genau müßte demnach auch der Mittelpunkt der Welt sein, denn die Einwohner von Irkutsk sind überzeugt davon, daß ihre Stadt so weit von allen anderen entfernt ist, daß hier die Mitte der Erde liegen müßte.

Auch das Frauenkloster Znamensky ist ein geschichtsträchtiger Ort. Gegründet 1886 kam 2011 das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kirill I. zu einem Besuch vorbei. Er ist so etwas wie der Papst der Katholischen Kirche und residiert für gewöhnlich in Moskau. Reiseleiter Dima hatte ihn sofort im Blick. Dem Jungen entgeht einfach gar nichts......

Weltweit berühmt ist Irkutsk für seine große Anzahl noch erhaltener Holzhäuser. Das Schmuckstück stellt dabei das ehemalige Haus eines Dekabristen dar, das wie mit Spitze verziert wirkt.

Diese Dekabristen machten unter anderem den Ruf der Stadt als Paris Sibiriens aus. Es handelte sich dabei um eine Gruppe junger Intellektueller, ehemalige adlige Offiziere, die gegenüber dem neuen Zar Nikolaus I. eine revolutionäre Einstellung hatten und ihm 1825 den Eid verweigerten. Wenn sie nicht hingerichtet wurden, verbannte man sie nach Sibirien, wo sie vor allem in Irkutsk das Leben der Stadt prägten durch ihre wohlhabende Herkunft und hohe Bildung.



Die fast 700.000 Einwohner zählende Universitätsstadt unterhält eine Vielzahl von Städtepartnerschaften unter anderem nach Pforzheim.

Besonders beliebt ist bei Stadtführungen immer ein Bummel über den örtlichen Wochenmarkt. Frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Fisch, Brot und Molkereiprodukte wie Quark und Sahne, die aus großen Eimern abgefüllt werden. 

Da wir morgen für ein paar Tage auf eine einsame Insel im Baikalsee fahren werden, deckten sich alle großzügig mit frischen Waren ein. Als Georg, Irene, Barbara und Jürgen sich an einem Teigtaschenstand ohne Sprachkenntnisse  länger beraten ließen - schließlich möchte man nicht die Katze im Sack kaufen......äh, die Füllung im blickdichten Mantel.......als sie sich von der netten Marktfrau die Inhalte gestenreich beschreiben ließen, bekam der Ausdruck „etwas mit Händen und Füßen erklären“ eine ganz intensive Bedeutung.

Der Bus brachte uns samt der Einkäufe zurück zum Stellplatz und dann hieß es Kraft tanken, Ruhe genießen, vorschlafen oder wie auch immer der einzelne sich auf das abendlichen Fußball-Event vorzubereiten gedachte.

Unsere Sascha hatte eine Bar in der Nachbarschaft ausgemacht, die zugesagt hatte, bis ein Uhr nachts für uns ihre Bildschirme laufen zu lassen. Die Reiseleitung verteilte Deutschlandfähnchen und alle Zuschauer waren voller Vorfreude auf den Beginn der Fußballweltmeisterschaft.

Doch was geschah dann? Das erste Tor fiel für die Mexikaner. Rückblickend muß man sagen: Das erste und einzige Tor. Den Zusatz „zum Glück“ sparen wir uns, denn es sah fast nach Potential für eine größere Niederlage aus. Da wir sechs Stunden der deutschen Zeit voraus sind, war es recht spät, als unsere Fahnen wie von Kriegern, die eine Schlacht verloren hatten, resigniert eingerollt wurden.

Immerhin hat die Schweiz die Ehre der Gruppe hoch gehalten und gegen 3:45 Uhr nachts (Irkutsker Zeit) ein Unentschieden gegen Brasilien heraus geholt. Wir fahren nun erst einmal auf den Baikalsee nach Olchon. Nach dieser Enttäuschung sind wir reif für die Insel. Es fühlt sich ein wenig so an, als gingen wir zur Einkehr ins Kloster. Es wird definitiv kein Fernsehen geben. Und wahrscheinlich kein Internet. Die Fußballweltmeisterschaft muß ohne uns weiter gehen. Und das ist vielleicht auch ganz gut so.

Wenn Ihr, liebe Leser in der Heimat, also eine Weile nichts von der großen Seidenstaßen-Tour hört, geduldet Euch, wir melden uns wieder. Wir tauchen jetzt erst einmal für fünf Nächte ab in der freiwilligen Verbannung einer fußballfreien Zone.

 

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