Wie stellt man etwas Unfaßbares dar ?

Diese Frage bewegte über Jahre Architekten, Bildhauer und Politiker - nicht nur in Deutschland. Seit 1989 von Lea Rosh die Idee zu einer zentralen Holocaust-Gedenkstätte aufkam, dauerte es ganze 14 Jahre und mehrere Denkmal-Wettbewerbe sowie Bundestagsdebatten bis zum Baubeginn am 1.April 2003.

Der Bund stellte 27,6 Mio Euro und ein 19.000 qm großes Grundstück in der Nähe des Brandenburger Tores zur Verfügung und der New Yorker Architekt Peter Eisenman schuf in gut zwei Jahren ein Denkmal, das den Begriff „Denkmal" ein für alle Mal veränderte. Es ist kein Standbild und keine Klagemauer, kein Brunnen und keine Gedenktafel, sondern ein begehbares Stelenfeld.
Auf einer gewellten, gepflasterten Bodenfläche, die unter das Niveau der umgebenden Straßen führt, stehen 2711 nur unmerklich zwischen 0,5 ° und 2 ° geneigte graue Betonquader.

Sie haben zwar alle die gleiche Grundfläche (2,38 x 0,95 Meter), sind aber unterschiedlich hoch von ebenerdig bis zu 4,7 Meter. Die gleichmäßig schmalen Gänge von 0,95 Meter zwischen den Stelen sind für die Besucher voll begehbar. Wer einmal seinen Weg hineingefunden hat, fühlt sich plötzlich ganz klein und muß doch voll Erstaunen feststellen, daß zwischen den Blöcken recht viele Menschen herumwandeln, die man vom Rande des Feldes gar nicht wahrnehmen kann, weil sie unter Erdniveau verschwinden. 

Es herrscht eine erstaunliche Akustik, denn die umgebene Stadt wird in den schmalen Wegen vollkommen ausgeblendet. Die geometrisch-strenge Anordnung der Quader läßt den Besuch des Stelenfeldes zu einer sehr unmittelbaren Erfahrung werden, denn man fühlt sich von einer schier unendlichen Zahl von Grabsteinen umstellt.

Die Assoziation mit Grabsteinen ist gewollt, denn - so Lea Rosh - die meisten ermordeten Juden haben kein eigenes Grab. Die graue Farbe soll an die Asche der verbrannten Opfer erinnern. Die kaum merkliche Neigung der Stelen soll einen scheinbar schwankenden Boden erzeugen, der im Besucher ein Gefühl von Verunsicherung weckt.

Ursprünglich hatte ein ganz anderer Entwurf den Wettbewerb gewonnen, nämlich eine 20.000 qm große schiefe Betonebene mit eingemeißelten Namen der Opfer. Diese Idee wurde jedoch im Rahmen des jahrelangen Prozederes wieder verworfen. Nun steht der Besucher allein gelassen vor einem namenlosen Mahnmal ohne jede Deutung, das tiefe Gefühle erzeugt.

PHOENIX hatte sich schon oft gefangen nehmen lassen von diesen grauen Steinen und wußte nicht, daß es noch den „Ort der Information" als unterirdisches Museum unter dem Stelenfeld gibt. Hier bekommen die Opfer Namen und Gesichter, Biographien und Stimmen. Schon im Foyer trifft die Kraft des Wortes mit voller Wucht in Form eines Zitates des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi.

Der Rundgang führt vorbei an einer Text- und Bildzeile, die die nationalsozialistische Verfolgungspolitik von 1933-45 beleuchtet. Über 60 Jahre nach Ende dieser dunklen Epoche deutscher Geschichte stehen Menschen, die meist zu jung sind um eigene Erfahrungen gemacht zu haben, fassungslos vor den kurzen Bildunterschriften und versinken schweigend in unsagbaren Schmerz.

Im „Raum der Dimensionen" beugt sich der Betrachter über Abschiedsbriefe und Tagebuchaufzeichnungen, die exemplarisch Zeugnisse persönlichen Leidens hinterlassen.

Im „Raum der Familien" werden anhand von Fotos und persönlichen Dokumenten 15 Familienschicksale nachvollzogen.

Im „Raum der Namen" braucht der Besucher keine Fotos mehr. Vor- und Nachname, Geburts- und Todesdatum werden an alle vier Wände projiziert und eine Stimme aus dem Lautsprecher liest eine Kurzbiographie des Opfers vor. Tausende Namen werden so nach und nach verlesen, so daß auf diese Weise der Toten individuell gedacht werden kann. Damit wird dem Denkmal die abstrakte Form der Erinnerung genommen, die das Stelenfeld allein sonst vermittelt.

PHOENIX fühlt eine tiefe Betroffenheit beim Verlassen dieses Ortes.

 

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